Ein entspannendes Bad ist der Plan für den frühen Abend. Das Wasser dampft, es duftet nach Lavendel und ich ziehe meinen kuscheligen Pyjama aus. Unübersehbar präsentiert sich das leckere aber viel zu fette und süße Essen über meine Körpermitte. Auch der Sport ist während der gefühlt zweimonatigen Vorweihnachtszeit viel zu kurz gekommen, was der Optik nicht sehr dienlich ist. Langsam beuge ich mich vorsichtig nach vorne, um die Socken auszuziehen. Bei der Bewegung zieht es schon seit längerem leicht im Kreuz und ich schau mir nun bei der Gelegenheit meine Beine etwas genauer an. Die Kontaktlinsen hatte ich morgens gleich nach dem Aufstehen eingesetzt und jetzt frage ich mich wann genau meine Haut an den Oberschenkeln angefangen hat neben leichten Beulen auch noch trocken und mit feinen Falten an Elastizität zu verlieren?
Just in diesem Augenblick erinnere ich mich daran, wie mein Sohn mich als Zehnjähriger mal fragte, „warum wackelt bei dir eigentlich alles?“ Meine Stimmung wird nicht besser, als ich mich auf die Waage stelle. Kein Wunder, dass der Bauchspeck sich unschön über den Verschluss der Jeans legt. Mit “love handles“ hat das nichts mehr zu tun. Die etwas deprimierende Situation erreicht den Höhepunkt als ich meine kürzlich notwendig gewordene Eckzahnprothese herausnehme. Ach herrje, wer behauptet alt zu werden ist nur schön, der lügt meiner Ansicht nach. Von wegen, „wir sind nicht mehr die jüngsten, das stört mich nicht im Geringsten.“ Das dachte ich vielleicht noch vor einigen Jahren, aber in der Zwischenzeit ist viel passiert und OFFENSICHTLICH habe ich mich verändert. Und nun?
Ja, wir sind in einem Alter, in dem wir Falten, graue Haare und die mehrgewordenen Kilos an unserem Körpern sehen. Die Wechseljahre kündigen sich an, oder sind vielleicht bereits aufgetaucht. Wenn uns dann die hübschen 25-jährigen begegnen, schwelgen wir gerne in Erinnerungen, wie zum Beispiel die Lieblingshotpants unsere braungebrannten Beine betonte… Ja, wir waren auch mal 25, die Welt schien uns zu Füßen zu liegen und nur auf uns zu warten. Doch genauso werden auch die heute 25-jährigen eines Tages in unserem Alter sein. Was sie mit Ihrer Jugend und ihrer Begeisterung an den Tag legen, legen wir unsere Weisheit und Lebenserfahrung hinein. Wir haben schon Kinder großgezogen, Haushalte geführt, Rechnungen bezahlt, gearbeitet, mit Krankheiten, Verlust und all dem anderen, was uns das Leben noch so zu bieten hat jongliert. Wir sind Persönlichkeiten, wir sind Heldinnen, wir sind Frauen. Auch wenn unsere Körper vielleicht nicht mehr das sind, was sie einmal waren, tragen sie unsere Herzen, unseren Charakter, unseren Mut und unsere Stärke. Und ja, emotional fühlen wir uns oft noch sehr viel jünger – dabei bin ich so bei 35 stehen geblieben. Wir hätten vermutlich alle gerne wieder diese unbekümmerte Gelassenheit, diese Spontanität und die rosarote Brille auf. Doch dafür wissen wir heute einfach zu viel. Mit dem Wissen, was wir alles geschafft haben, werden wir dieses neue Kapitel unseres Lebens mit Liebe, Demut und Stolz betreten. Und wir sollten uns nicht schlecht darüber fühlen, älter zu werden. Es ist ein Privileg, dass so vielen verwehrt wird.
©Sandra Polli Holstein