
Rückblick mit Erkenntnis – und ein paar unbequeme Wahrheiten
Wenn ich heute zurückblicke, frage ich mich manchmal:
Wie oft habe ich eigentlich geführt, obwohl ich mir gewünscht hätte, einfach mal folgen zu dürfen?
Wie oft war ich gleichzeitig Navigatorin, Organisatorin, Krisenmanagerin, emotionale Stütze – und auch noch die, die den Überblick behalten hat, ob genug Kaffee im Haus ist?
Mein Sohn ist inzwischen erwachsen, ich habe vieles von dem hinter mir, was junge Frauen heute noch stemmen müssen. Aber genau das macht den Blick von heute so klar:
Wir reden oft über Gleichberechtigung, Emanzipation und Freiheit. Aber wir reden zu selten darüber, was das mit uns macht – als Frau, als Mann, als Paar.
Gesellschaftlicher Fortschritt – auf dem Papier
Gleichberechtigung ist keine Idee mehr – sie ist Realität. Oder?
Auf dem Papier ja. Aber in der Realität leben viele Frauen ein Leben, das sich eher wie Gleichzeitigkeit als Gleichberechtigung anfühlt: Karriere machen, sich um alles kümmern, dabei bitte auch noch innerlich aufgeräumt sein.
Viele meiner jüngeren Kolleginnen, Bekannten oder auch Freundinnen in meinem Alter erzählen von einem Gefühl der Daueranspannung. Nicht, weil sie schwach wären – im Gegenteil. Sie sind stark, leistungsfähig, lösungsorientiert.
Aber genau das führt uns zur nächsten Frage: Was passiert eigentlich mit den Männern in dieser Gleichung?
Wenn Stärke Raum verdrängt
Was ich beobachte – und manchmal auch selbst erlebt habe:
Je mehr Frauen gezwungen sind, „stark“ zu sein, desto schwieriger wird es für Männer, einen authentischen Platz in der Beziehung zu finden.
Nicht, weil sie nicht wollen. Sondern weil sie oft schlicht nicht wissen, wie.
Das klassische Bild von Männlichkeit – Beschützer, Versorger, Entscheider – ist zurecht überholt.
Aber was kommt danach? Viele Männer tappen in eine Art Identitäts-Vakuum: Sie möchten partnerschaftlich sein, verständnisvoll, emotional präsent – aber sie stoßen auf Frauen, die selbst so stark und eigenständig sind, dass sie nicht mehr wissen, wo sie gebraucht werden.
Und dann beginnt ein Spiel, das keiner gewinnt:
Frauen führen, oft aus Gewohnheit, manchmal aus Enttäuschung. Männer folgen, manchmal halbherzig, manchmal gar nicht. Nähe entsteht nicht – und auf Augenhöhe begegnet man sich auch nicht mehr, weil keiner mehr weiß, was echte Augenhöhe eigentlich bedeutet.
Energieverschiebung im Alltag – spürbar, aber unausgesprochen
Wenn wir psychologisch auf Beziehung schauen, dann begegnen sich nicht nur zwei Menschen – sondern auch zwei Energien:
Die männliche (Ziel, Struktur, Richtung) und die weibliche (Beziehung, Intuition, Empfangen).
Diese Begriffe sind nicht biologisch gemeint, sondern symbolisch.
Das Ideal: Beide Menschen tragen beide Energien in sich – und bringen sie in Balance.
Die Realität: Unsere Gesellschaft „belohnt“ männliche Energie mehr – Leistung, Effizienz, Planung. Und genau darin sind Frauen heute oft Weltmeisterinnen.
Sie übernehmen, weil sie es können. Weil sie es müssen.
Und Männer? Viele haben nie gelernt, ihre innere Führung zu finden – oder haben sie irgendwann abgegeben, aus Unsicherheit, Angst oder Bequemlichkeit.
Beziehungen heute: Kraftakt statt Ko-Kreation
Was ich heute immer öfter sehe – bei jungen Paaren, aber auch bei Menschen in der Lebensmitte:
Beziehungen werden zu Projekten. Zu Listen. Zu Gesprächsterminen.
Statt Leichtigkeit entsteht Organisation. Statt Vertrauen entsteht Kontrolle. Statt Führung entsteht Rückzug.
Und irgendwann fragt man sich: Wo ist eigentlich das Miteinander geblieben?
Vielleicht liegt die Antwort nicht im Beziehungsratgeber, sondern im Energiemuster.
Vielleicht müssen wir uns weniger fragen: „Wie finde ich den oder die Richtige*n?“
… sondern eher: „Wie bin ich gerade selbst unterwegs? In welcher Energie? Und welche lasse ich überhaupt zu?“
Was bleibt: Eine Einladung zur Selbstreflexion
Ich bin keine Paartherapeutin. Ich bin einfach nur ein Mensch, der viel beobachtet, viel erlebt hat – und versucht, aus dem Chaos des Lebens etwas Sinnvolles zu formen.
Und ich glaube, wir brauchen neue Worte für Partnerschaft. Neue Bilder.
Keine Rückkehr zu alten Rollen – sondern ein neues Bewusstsein dafür, dass wir beides brauchen: Struktur und Gefühl. Klarheit und Offenheit. Entscheidung und Hingabe.
Nur wenn wir aufhören, gegeneinander zu arbeiten – oder nebeneinander her zu leben – entsteht wieder dieses kraftvolle Dazwischen, das man Beziehung nennt.
Impuls zum Schluss:
Was wäre, wenn du mal nicht alles im Griff haben müsstest?
Und was wäre, wenn du – ganz bewusst – Raum geben würdest?
Für dich. Für den anderen. Für eine echte Begegnung.